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START-UP NEXTWIND „Wir scheitern entweder am Wettbewerb oder am Preis“

Das Start-up Nextwind hat in diesem Jahr in Deutschland das meiste Risikokapital eingesammelt: rund 707 Millionen Euro. Die Jungfirma kauft alte Windkraftanlagen und ersetzt sie an Ort und Stelle durch neue. Ein Gespräch mit den drei Gründern.

2020 gründen drei Männer in Berlin ein Unternehmen. Schon tausendmal gelesen? Ja. Aber bei den Machern von Nextwind handelt es sich nicht um die typischen Berliner Gründer. Das Team besteht aus: dem Juristen und langjährigen Eon- und Vattenfall-Manager Werner Süss (60), dem Windenergie-Investmentspezialisten Lars Meyer (51) sowie Ewald Woste (63), Ex-Chef der Frankfurter Stadtwerke Mainova und des Stadtwerkeverbunds Thüga und derzeitiger Aufsichtsratsvorsitzender des Essener Kohlekonzerns Steag. Ihr Geschäftsmodell: Nextwind kauft alte Windparks, die in der Regel kurz davor stehen, aus der EEG-Förderung zu fallen (maximal 20 Jahre), und ersetzt die alten Windkraftanlagen an Ort und Stelle durch neue, leistungsfähigere Turbinen. In der Branche heißt dieses Geschäft „Repowering“. Derzeit beschäftigt Nextwind 30 Mitarbeiter. Im Schnitt komme jede Woche jemand Neues dazu.
Im August 2023 sammelte Nextwind in seiner zweiten Finanzierungsrunde umgerechnet 707 Millionen Euro ein (750 Millionen US-Dollar). Angeführt wurde die Runde vom US-Investmenthaus Sandbrook Capital, das auf die Energiewende spezialisiert ist, sowie den beiden kanadischen Pensionsfonds Public Sector Pension Investment Board (PSP Investments) und Imco. Die hohe Summe gelang in einem Start-up-feindlichen Umfeld: Laut einer Analyse der Beratungs- und Prüfungsgesellschaft EY von Mitte Juli 2023 warben deutsche Nachwuchsfirmen im ersten Halbjahr dramatische 49 Prozent weniger Geld ein als im Vorjahreszeitraum. Die Liste führten die beiden Solaranlagen-Planer Enpal und 1Komma5Grad mit jeweils 215 Millionen Euro an.

WirtschaftsWoche: Herr Süss, Herr Meyer, Herr Woste, vor wenigen Wochen haben Sie umgerechnet 707 Millionen Euro Risikokapital eingesammelt – mehr als dreimal so viel wie der bisherige deutsche Jahres-Krösus Enpal. Wie erklären Sie sich das?
Meyer: Unser Geschäft ist sehr kapitalintensiv. Für einen Windpark gibt man schon mal zwischen 10 und 20 Millionen Euro aus. Wenn man fünf Windparks im Jahr kauft, was nicht unrealistisch ist, sind 100 Millionen Euro schon mal weg. Und das ist ja erst der Anfang. Wir wollen die Anlagen künftig noch ergänzen um Solaranlagen, Batterien und eventuell grünen Wasserstoff. Da reichen selbst 750 Millionen Dollar nicht lange. Wir und unsere Investoren sehen das als Anfang.


Werner Süss, Ewald Woste und Lars Meyer (v.l.).Bild:  Presse

Zur Person: Die NeXtWind Gründer

Werner Süss hat in München Jura studiert und arbeitete rund zehn Jahre für den schwedischen Stromkonzern Vattenfall Europe Sales (zuletzt als CEO); 2012 gründete er (mit Partnern) in Berlin Wind Capital Partners, eine M&A-Beratungsfirma für Onshore-Windenergieanlagen.

Ewald Woste hat an der Uni Paderborn Business Administration studiert und führte acht Jahre den kommunalen Energiekonzern Thüga (in München), nebenbei war er Präsident des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und in der Folge Aufsichtsrat diverser Energieunternehmen (etwa Thüringer Energie AG, Dena, Energie Steiermark, Berliner Gaswerke sowie Eon). Seit Dezember 2022 ist Woste Aufsichtsratsvorsitzender der Steag AG in Essen.

Lars Meyer ist studierter Wirtschaftsingenieur (TU Braunschweig) und sammelte M&A-Erfahrungen bei Siemens, später in London bei den US-Investmentbanken Lazard und SVP Global sowie zuletzt bei Centerbridge Partners, einer privaten Investmentgesellschaft aus New York. 2018 gründete er in Berlin Q-Energy, eine Investmentgesellschaft für erneuerbare Energien.

Aber allein mit dem Verweis auf ein kapitalintensives Geschäft werden Sie kaum 750 Millionen Dollar bekommen haben.
Meyer: Die beste Art, Investoren zu überzeugen, ist der Beweis, dass man es kann. Und diesen Beweis haben wir vorlegen können.
Süss: Zwischen 2018 und 2020 haben wir in dieser Konstellation, aber noch unter einem anderen Namen, schon einmal zehn Windparks gekauft, mit rund 100 Millionen Euro Risikokapital. Diese Windparks sind derzeit alle auf einem guten Repowering-Weg. Das damalige Ziel war, die Windparks nach dem Repowering wieder zu verkaufen. Unsere Überzeugung ist heute aber, dass wir dabei einen großen strategischen Wert liegenlassen. Denn die Geschichte ist an diesem Punkt noch lange nicht zu Ende. Also wollten wir das gleiche noch einmal machen – und haben Nextwind gegründet. 2020 haben wir in der ersten Runde wieder 100 Millionen Euro Kapital eingesammelt, für weitere zehn Windparks. Wir machen es jetzt also zum dritten Mal. Es ist ein Geschäftsmodell, das in die Zeit passt: ökologisch und nachhaltig. Jetzt ist eine Zeitenwende in der deutschen Energiewirtschaft.
Woste: Die Investoren haben erkannt, dass Repowering eines der spannendsten Industrie-Themen in Deutschland ist, mit dem Ausstieg aus Kernenergie und Kohlestrom. Die ausländischen Investoren sehen: Diese Transformation muss gelingen, wenn Deutschland als Industriestandort bestehen bleiben will. Wenn wir das hinbekommen, wird Deutschland als erstes Land CO2-neutral sein.

Die Bundesregierung hat vorgegeben, theoretisch vier bis fünf neue Windkraftanlagen pro Tag zu errichten, um die Ausbauziele zu erreichen. Derzeit werden im Schnitt aber nur ein bis zwei Anlagen pro Tag gebaut. Was kann Repowering hier beitragen?
Süss: Repowering ist ein wesentlicher Baustein. Wenn man heute ein altes Windrad durch ein neues ersetzt, hat man ungefähr den dreifachen Ertrag an Energie. Das liegt einfach am technischen Fortschritt. Zweitens: Die lokale Community ist bereits gewöhnt an die Windräder, die Akzeptanz vor Ort ist also wesentlich höher. Das ist nachhaltig im doppelten Sinne.
Meyer: Deutschland ist ein dicht besiedeltes Land. Viele der besten Windstandorte, vor allem in Norddeutschland, wurden selbstverständlich schon Anfang der 2000er Jahre bebaut, als es losging mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Geeignete Fläche ist ein knappes Gut! Wenn man diese Orte nach 20 Jahren nicht mehr weiterbetreibt, ist das geradezu sträflich. Repowerig ist eine absolut notwendige Initiative, um die Energiewende voranzutreiben.


Sie haben aktuell elf Windparks gekauft. Eine überschaubare Menge angesichts von insgesamt 28.517 Windenergieanlagen im Land. Wie viele sollen es nächstes Jahr sein?
Meyer: Wir haben in den elf Parks über 80 Windenergieanlagen. Im Repowering-Zustand werden sie etwa 400 Megawatt leisten. Die Verdoppelung der heutigen Anzahl unserer Parks wäre wohl binnen eines Jahres zu schaffen. Wir wollen mittelfristig die 1-Gigawatt-Grenze erreichen, also 1.000 Megawatt. Das ist aber nur der Wind, für uns ist ein Energiestandort auch noch Photovoltaik und Batterie.


Ihr Geschäft dürfte sich beschleunigen, die Zeit ist auf Ihrer Seite. Einer Analyse der Fachagentur Wind an Land zufolge lag die Repowering-Quote bezogen auf Neuanlagenleistung in den ersten drei Quartalen 2023 bei 34 Prozent. Dies ist der höchste Anteil seit neun Jahren.
Süss: Anfang der 2000er begann der Zuwachs der deutschen Windräder. Die kommen jetzt alle in diese Zeit, wo ein Repowering theoretisch ansteht. Der zweite Faktor für das Wachstum unseres Geschäfts ist der politische Rückenwind. Den darf man nicht unterschätzen. Der Bundeswirtschaftsminister macht hier einen guten Job. Das darf man ruhig auch mal so sagen.
Meyer: Das EEG wurde nach dem Start in Deutschland auch von anderen Ländern kopiert, weil es ein effektives Mittel war, um diese Industrie auszurollen. Was für uns bedeutet: Wenn wir in Deutschland dieses Geschäft verstanden haben, können wir unsere Erfahrung auch im europäischen Ausland zum Einsatz bringen. Noch sind wir nur in Deutschland aktiv, aber wir gucken bereits im Ausland. Die Dynamik ist da auf unserer Seite.
Süss: Deutschland ist der Labor-Markt. Wer es hier kann, kann es auch im Rest Europas.

Zieht der wachsende Markt nicht auch mehr Wettbewerber an? Es gibt größere Projektplaner wie PNE aus Cuxhaven, WPD aus Bremen, Encavis aus Hamburg und Juwi aus Wörrstadt. Auch große Energiekonzerne wie Innogy spielen mit.
Woste: Wir haben schon erheblichen Wettbewerb. Wir müssen uns behaupten. Wichtig ist, dass wir nachweisen können, möglichst schnell repowern zu können. Die Anträge bei den Behörden können dauern. Wir wollen aber Geschwindigkeit aufnehmen und der führende Spieler im Markt werden.

Die Landschaft an Windpark-Betreibern ist recht heterogen: Es gibt Landwirte und Kommunen, aber auch Banken, Hedgefonds sowie große Energiekonzerne. Wen sprechen Sie vermehrt an?
Süss: Alle. Zu Beginn der 2000er Jahre waren es vor allem Privatleute oder kleinere Fonds, die kleine Windparks bauen ließen; die Energiekonzerne sind erst später eingestiegen. Da gibt es jetzt viele, die nun in ein Alter kommen, in dem sie verkaufswillig sind. Oder die sich fragen: Will ich mir das antun, in die nächste Runde zu gehen? Es stimmt, es ist ein heterogener Markt. Aber in diesem Markt sind wir sehr gut vernetzt.
Woste: Und der Markt verändert sich. Die frühen Investoren haben sich drei bis fünf Anlagen hingesetzt und übers EEG gutes Geld verdient – hatten aber null Risiko. Sie mussten sich weder um die Vermarktung noch um technische Fragen kümmern. Das war für die erste Phase auch genau der richtige Ansatz, um diese Technologie in den Markt zu bringen. Jetzt kommen wir in die zweite Phase: Wie können wir die Produktion von Wind, Photovoltaik und Biomasse grundlastfähig machen? Wie können wir Deutschland mit dieser Energie versorgen, die nicht permanent da ist? Auf Dauer muss man die Windparks etwa mit Batteriespeichern aufrüsten. Wenn wir dieses Land CO2-frei versorgen wollen, müssen wir uns mit diesen Fragen auseinandersetzen. Das überfordert viele Investoren aus der ersten Phase, die mit diesen Fragen nichts zu tun hatten.
Meyer: In dieser heterogenen Eigentümerstruktur ist es so: Die Komplexität der Windenergie-Zukunft ist für viele Investoren nicht mehr händelbar und auch nicht gewollt. Aber gleichzeitig nimmt auch die Komplexität der existierenden Anlagen zu. Das technische Risiko steigt, Garantien der Hersteller laufen aus, auch das EEG läuft aus. Danach hat man ein Preisrisiko, das man managen muss. Das eröffnet für uns die Möglichkeit, ins Gespräch einzusteigen.


Wollen nicht auch die Betreiber älterer Anlagen ihre eigenen Windparks selbst „repowern“? Es dürfte bei den Strompreisen doch ein lukratives Geschäft sein. Wieso braucht es da überhaupt Anbieter wie Nextwind?
Meyer: Absolut, das gibt es! Wir können auch nicht alles machen. Aber es gibt auch zahlreiche Landwirte, die sich vor 20 Jahren zusammengetan haben. Die waren damals vielleicht 50 Jahre alt. Die sind heute 70. Die müssen sich heute fragen: Will ich jetzt nochmal das neue Investment machen? Das ist wie im Mittelstands-Management: Manchmal hat man einen Nachfolger, manchmal nicht.
Süss: Die ersten 20 Jahre ist eine Anlage im EEG-Einspeisetarif. Danach erfolgt der Handel über den Spotmarkt, der eine eigene Herausforderung ist. Da braucht man Stromhandelskompetenz, wie im Öl- und Gasmarkt auch. Eine erneuerte, sozusagen „repowerte“ Anlage fällt dagegen wieder für 20 Jahre in den EEG-Tarif. Allerdings sind die Kosten der Anlagen deutlich gestiegen.


Konkret?
Süss: Vor 20 Jahren hat eine Windkraftanlage vielleicht eine Million Euro gekostet, heute kostet sie zwischen sieben und neun Millionen Euro. Das sind andere wirtschaftliche Dimensionen. Es besteht also durchaus ein unternehmerisches Risiko. Unterm Strich behaupte ich aber, gleichen sich die gestiegenen Kosten und gestiegene Effizienz bei der Amortisation eines Windrads aus: Früher waren sie kleiner und günstiger, heute teurer, aber auch leistungsfähiger. Es hat sich wenig geändert.
Meyer: Im Rahmen seiner Lebenszeit sollte sich der Kauf eines alten Windrads amortisieren. Aber reich wird man dadurch nicht.
Woste: Die EEG-Förderung läuft 20 Jahre, eine moderne Windkraftanlage läuft aber länger als 20 Jahre. Es fallen also Anlagen automatisch raus aus der Förderung, sie produzieren aber weiterhin Strom. Wir versuchen dann, diesen Strom über die Börse zu verkaufen oder langfristige Verträge mit großen Abnehmern zu schließen. Die Nachfrage nach grünem Strom ist ja da, jeder Mittelständler will das. Die wollen direkte Bezugsverträge für grünen Strom. Dieser Markt entwickelt sich gerade.


Trotz des boomenden Marktes führt vermutlich nicht jede Ihrer Anfragen zum Erfolg. Woran scheitern die Vorhaben?
Meyer: Wir scheitern entweder am Wettbewerb oder am Preis. Beim eigentlichen Repowering-Prozess, also der neuen Genehmigung für einen alten Standort, sind wir bisher noch nicht gescheitert. Bevor wir kaufen, führen wir eine sehr sorgfältige Analyse durch, ob wir am existierenden Standort auch eine neue Genehmigung bekommen.


So ein Austausch bedeutet ja, dass Sie die komplette Windkraftanlage abbauen lassen müssen. Was passiert mit den alten Anlagen?
Süss: Das Betonfundament wird geschreddert und endet, wenn es gut läuft, im Straßenbau direkt vor Ort. Einen Großteil des Turms, vor allem Stahl und Kupfer, kann man recyclen. Auch die Glas- und Kohlefaser-Anteile in den Rotorblättern lassen sich mit neuer Technik mittlerweile wiederverwenden. Im Idealfall kann man alte Anlagen auch weiterverkaufen und woanders wiederaufbauen.

Von welchen Herstellern beziehen Sie die neuen Turbinen? Etwa auch vom strauchelnden Siemens Gamesa?
Meyer: Wir sind offen und binden uns nicht an einen Hersteller.
Süss: Siemens Gamesa ist im Onshore-Bereich in Deutschland erstaunlich selten vertreten. Deutschland wird beherrscht von Enercon, Vestas und Nordex. Grundsätzlich muss jeder, der im Markt tätig ist, gute Kontakte zu allen Herstellern haben.
Woste: Die Photovoltaik-Industrie haben wir in Deutschland an China verloren. Wir sollten nicht auch noch die Windkraft verlieren.

Dieser Artikel erschien erstmals am 6. November 2023 bei der WirtschaftsWoche. Zum Artikel.